An die Landtagsfraktionen im Landtag Niedersachsen
Institut für Duale Studiengänge Studiengang Pflege (dual) Hochschule Osnabrück, Campus Lingen
Fakultät Management, Kultur und Technik
Kaiserstraße 10c, 49809 Lingen
Email: r.mazzola@hs-osnab- rueck.de Osnabrück und Lingen 17.12.2020
Gesetzesentwurf zur Umsetzung der Auflösung der Pflegekammer Niedersachsen
Stellungnahme der Hochschullehrenden der Hochschule Osnabrück, Studiengänge Pflege Dual und Pflegewissenschaft, Pflege- und Hebammenwissenschaft
Nach langjährigen Diskursprozessen innerhalb der Berufsgruppe sowie auch diverser gesellschaftspolitischer Akteure zur Thematik der Errichtung einer Pflegekammer in Niedersachsen wurde 2016 mit dem Niedersächsischen Kammergesetz für die Heilberufe in der Pflege die Basis für eine berufsständische Vertretung der Pflegenden gelegt. Damit wurde dem positiven Beispiel anderer Bundesländer und insbesondere auch internationaler Vorbilder gefolgt.
Das Kammergesetz hat den Grundstein dafür gelegt, dass wichtige pflegerische Fachfragen mit erheblicher Auswirkung auf die gesundheitliche Versorgung der niedersächsischen Bürger*innen in die Hände der Berufsgruppe selbst gelegt wurden. Dazu zählt bspw. die Erarbeitung einer Berufs- und Weiterbildungsordnung, Fragen der Personalbemessung, der Personalausstattung, der Delegation pflegefremder Tätigkeiten sowie auch der Qualitätsentwicklung pflegerischer Versorgung. Mit Blick auf die gestiegenen gesetzlichen Anforderungen an qualitätsgesicherte Pflege, bei zunehmender Spezialisierung und komplexer werdenden Versorgungsstrukturen, ist auch die Weiterentwicklung der Akademisierung in Niedersachsen dringend geboten. Nachhaltige Lösungen können im Kontext einer Kammer durch den Berufsstand selbst erarbeitet und durch den Zugang und die Beteiligung in allen gesundheits- und pflegepolitischen Gremien sowie durch Mitentscheidungen zu pflegerelevanten Fragen sichergestellt werden. Der Handlungsdruck durch die längst bekannten sozialpolitischen Herausforderungen wie die Alterung der Gesellschaft, das sinkende familiale Pflegepotenzial, eine veränderte Patientenrolle bei chronischen und komplexen Verläufen zeigt die Notwendigkeit, dem Berufsstand der beruflich Pflegenden Handlungs- und Problemlösungssouveränität zu verleihen.
Die Pflegekammer hat in einer bisher kurzen Amtszeit neben der Errichtung notwendiger institutioneller Strukturen vielfältige Themen aufgegriffen und
substantiell vorangebracht. Einige Beispiele seien hier genannt:
So hat der Weiterbildungsausschuss der Pflegekammer 2019 eine Berufsfeldanalyse in Auftrag gegeben, um Anforderungen und Problemstellungen in der Praxis zu erheben und vor diesem
Hintergrund die Fachweiterbildungen im Land Niedersachsen strukturell, pflegedidaktisch curricular neu zu gestalten, um den tatsächlichen Praxisanforderungen in der Fachpflege (u.a.
Intensiv- und Anästhesiepflege, psychiatrische Pflege, Hygiene und Frühgeborenenpflege) gerecht zu werden. Die Pflegekammer NDS erarbeitet derzeit Strukturen, um niedersächsischen
Pflegenden und Arbeitgebern den Anschluss an Europa zu ermöglichen, was nicht zuletzt die Wettbewerbsfähigkeit auf dem europäischen Arbeitsmarkt erhöht. Den Pflegenden wird hierdurch
die Möglichkeit geboten, im Rahmen der zukünftigen Weiterbildungsordnung Karrierewege zu wählen, die ihnen bisher verwehrt blieben und zu vorzeitigen Berufsabbrüchen führten.
Ein weiterer Meilenstein der Arbeit der Pflegekammer ist die Einrichtung einer Ethikkommission. Pflegerisches Handeln impliziert vielfältige ethische Dilemmata, in denen Pflegende vor schwerwiegende Entscheidungen gestellt werden. Die Berufsgruppe hier zu unterstützen und für eine nachhaltige Integration pflegeethischer Fragen sowohl in Aus-, Fort- und Weiterbildung als auch in die Pflegepraxis zu sorgen, ist erklärtes Ziel der ehrenamtlich arbeitenden Kommissionsmitglieder.
Durch eine Erhebung der Strukturdaten zu den beruflich Pflegenden aus dem Jahr 2018 konnten hoch relevante Daten herausgearbeitet werden, so z.B. die von Schätzungen erheblich abweichende Zahl tatsächlich aktiv tätiger Pflegender wie auch gravierende regionale Unterschiede in der pflegerischen Versorgung, die deutlich machen, dass eine pflegefachliche Versorgung in einzelnen Teilen Niedersachsens nicht mehr gesichert ist. Weiterhin zeigen die Zahlen, dass 40% der aktuell beruflichen Pflegenden über 50 Jahre alt sind und bis 2034 ca. 35-45 % der aktuell Tätigen nicht mehr in der Pflege arbeiten wird. Bereits heute ist abzusehen, dass die aktuelle Zahl an Pflegefachpersonen nicht ausreichen wird, um die Nachfrage in den nächsten Jahren abzudecken. Zugleich verweist die jüngste Sinus-Jugendbefragung auf dringenden Reformbedarf, wenn sich nur 4 Prozent der Jugendlichen eine Tätigkeit in der Pflege „sehr gut“ vorstellen können (Sinus-Institut 2020). Auch vor diesem Hintergrund ist die Abbruchquote von Auszubildenden in der Pflege in den Blick zu nehmen und Gegenmaßnahmen sind zu ergreifen.
Nicht zuletzt durch die Covid-19 Pandemie wurde die hochgradige Bedeutung des Berufsstandes der Pflegefachpersonen für die Gesellschaft unmissverständlich aufgezeigt. Die Wirkung pflegerischen Handelns geht ganz offensichtlich über das Gesundheits- und Pflegewesen hinaus und reicht weit hinein in das Gemeinwesen. Darauf verweist auch die jüngste „Nursing Now“- Kampagne der WHO und des ICN - anlässlich des 200. Geburtstags von Florence Nightingale, in der 2020 zum Jahr der Pflegenden und Hebammen ausgerufen wurde.
Die Strukturdaten der Pflegekammer schaffen in diesem Kontext z.B. die Grundlage dafür, Pflegende für die anstehenden und zukünftigen Impfaktionen oder im Sinne weiterer unterstützender Aktionen in Niedersachsen zu rekrutieren. Die Vorarbeit der Pflegekammer stellt so eine grundlegende Ressource für den Kampf gegen die Pandemie dar.
Vor dem Hintergrund der genannten Herausforderungen und eingeleiteten Maßnahmen der Pflege- kammer, erscheint die aktuelle Initiative des niedersächsischen Landeskabinetts zur Auflösung der Pflegekammer Niedersachsen unverständlich und in hohem Maße schädlich für die weitere Ent- wicklung der beruflichen Pflege in Niedersachsen.
Unglücklicherweise und anders als ursprünglich beschlossen wurde die Befragung der Pflegenden in Niedersachsen auf die Frage reduziert, ob eine Kammer gewollt ist oder nicht. Die eigentlich intendierte Evaluation der Arbeit der Pflegekammer ist dadurch in den Hintergrund geraten und die Ergebnisse dieser Evaluation sind bislang auch nicht bekannt.
Problematisch erscheint uns jedoch vor allem die nicht angemessene Engführung der Diskussion auf die Frage, ob es einer Pflegekammer bedarf oder nicht. Die wichtigen Fragen der pflegerischen Versorgung – Personalgewinnung und – verbleib, Personalbemessung, Aus-, Fort- und Weiterbildungsregelungen, Auswirkungen des demografischen Wandels, Berichterstattung zur Lage der Pflege und vieles andere, sind vollkommen in den Hintergrund geraten und werden durch die Auflösung der Pflegekammer nicht gelöst. Es fehlt bislang an einer Perspektive durch wen und unter welchen Bedingungen diese Fragen bearbeitet werden.
Es zeichnet sich ab, dass die vielen offenen Fragen zu den strukturellen Problemen in der Pflegebranche unbeantwortet bleiben und für die Situation der Pflegefachpersonen und damit für das Gemeinwohl keine nachhaltigen Verbesserungen zu erwarten sind, wenn die Selbstverwaltung der Pflege und die Lösung substanzieller pflegerelevanter Aufgaben nicht in die Hand des Berufsstandes der beruflich Pflegenden gegeben werden.
Die Hochschullehrenden der Hochschule Osnabrück fordern die niedersächsische Landesregierung daher auf, ihre politische Entscheidung, den erteilten Auftrag an die Pflegekammer Niedersachsen zur Vertretung und Regelung der beruflichen Belange der Kammermitglieder, aufrechtzuerhalten. Seien Sie mutig für solide politische Entscheidungen für Niedersachsen!
Für die Fachgruppe der Studiengänge Pflege Dual, Pflegewissenschaft, Pflege- und Hebammenwissenschaft
Rosa Mazzola
Mitglieder der Fachgruppe Studiengänge Pflege Dual, Pflegewissenschaft, Pflege- und Hebam- menwissenschaft:
Isabel Alsmann, Marlies Böggemann, Andreas Büscher, Verena Groß, Claudia Hellmers, Elke Hotze, Andrea Klätte, Benjamin Kühme, Rosa Mazzola, Markus Münch, Martin Pohlmann, Stefanie Seeling, Friederike zu Sayn-Wittgenstein