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Pflegefachliches Potenzial entfalten

Policy Brief zur Krankenhausstrukturreform vom Deutschen Berufsverband für Pflegeberufe, Deutschen Pflegerat, Verband der Schwesternschaften vom DRK und Bundesverband Pflegemanagement

 

Berlin, 27. Juni 2023

Die Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung hat vielversprechende Reformvorschläge vorgelegt, in denen das Potenzial professioneller Pflege für eine bessere Gesundheitsversorgung eine wesentliche Stellung eingenommen hat. Die weitsichtigen Vorschläge wurden bisher im Eckpunktepapier des Ministeriums nicht berücksichtigt. Dies ist aus Sicht der an diesem Policy Brief beteiligten Verbände ein großer Fehler, der in der Gesetzgebung korrigiert werden muss.

 

Das Wichtigste im Überblick

  1. Gesundheitsbedarfe in Deutschland: Chronische Erkrankungen, Demenz, Pflegebedürftigkeit und Behinderungen betreffen immer größere Teile der Bevölkerung und dies erfordert neue Lösungen in der Gesundheitsversorgung mit einem Fokus auf Gesundheitsförderung, Prävention und das Leben mit chronischen Erkrankungen.

  2. Leistungskriterium Pflegequalität: In der Akutversorgung werden zunehmend Menschen mit schweren Erkrankungen und entsprechend komplexen Pflegebedarfen versorgt. Dies erfordert eine Professionalisierung und einen adäquaten Qualifikationsmix in Krankenhäusern aller Level.

  3. Aufgaben umverteilen, Kompetenzen und Verantwortung erweitern: Vorhandene Kompetenzen der einzelnen Berufsgruppen müssen effektiv eingesetzt werden. Dies erfordert eine Erweiterung der Verantwortungsbereiche in den jeweiligen Berufen, für die rechtliche Weichen gestellt werden müssen.

  4. Integrierte Versorgung: Interprofessionelle Zusammenarbeit gewinnt an Bedeutung und die Gesundheitsversorgung muss sektoren- und professionsübergreifend organisiert werden, um den Herausforderungen gerecht zu werden.

  5. Fachpersonenmangel im Gesundheitswesen: Der Mangel an Fachpersonen in allen Gesundheitsberufen kann weder durch Anwerbungen im Ausland noch durch Nachwuchsgewinnung im Inland allein behoben werden. Es ist daher notwendig, die Aufgaben neu zu organisieren und zu verteilen.

Aus diesem Befund leiten sich aus pflegerischer Perspektive drei zentrale Forderungen für die Krankenhausstrukturreform ab:

  1. a)  Primärversorgungszentren bzw. Level-Ii-Krankenhäuser schließen eine Versorgungslücke und sind deshalb notwendig. Ihr Versorgungsschwerpunkt liegt wesentlich auf komplexen Pflegebedarfen. Eine Leitung durch qualifizierte Pflegefachpersonen muss möglich sein.

  2. b)  Die Qualitätskriterien in den Leistungsgruppen müssen die pflegerische Leistung spiegeln und einen bedarfsgerechten Personalschlüssel sowie den notwendigen Qualifikationsmix für die Pflegeberufe beinhalten.

  3. c)  Die Heilkundeübertragung auf Pflegefachpersonen muss im Sinne einer Substitution geregelt werden, damit sie eigenverantwortlich ihre Kompetenzen einsetzen und die Basisversorgung sichern können.

 

1. Gesundheitsbedarfe in Deutschland

 

Die Zahl alter Menschen, von Menschen mit Pflegebedarf, mit chronischen Erkrankungen oder Behinderungen ist hoch und steigt aufgrund demografischer Faktoren stetig. Das Gesundheitssystem in Deutschland ist im OECD-Vergleich eines der teuersten, liegt aber in der Lebenserwartung hinter den anderen Ländern, nämlich nur auf dem drittletzten Platz. Unter den Todesursachen liegen Herz-Kreislauf- Erkrankungen an der Spitze und diese Todesfälle wären bei guter Primärversorgung zu einem Teil vermeidbar.1

 

Beeindruckend sind in diesem Zusammenhang auch die Daten der Stiftung Gesundheitswissen zu Menschen mit chronischen Erkrankungen in Deutschland2:

  •   40 Prozent der Bevölkerung ab 16 Jahre haben eine chronische Erkrankung.

  •   Fast jede:r Dritte Deutsche weist eine Hypertonie auf.

  •   Es gibt in Deutschland etwa acht Millionen Diabetiker:innen.

  •   Etwa 15,5 Prozent der Bevölkerung leidet unter chronischen Rückenschmerzen.

  •   Im Durchschnitt liegen die Anfänge der Erkrankung 15 Jahre zurück.

Laut Robert Koch-Institut liegt sogar bei 49,2 Prozent der Deutschen eine chronische Erkrankung vor und 33,4 Prozent der Menschen geben langandauernde, gesundheitsbedingte Einschränkungen bei Alltagsaktivitäten an.3 
Die Zahl der Menschen mit Pflegebedarf nach SGB XI lag im Jahr 2021 bei fünf Millionen. Zusätzlich waren nach Schätzungen rund 160.000 Menschen mit Pflegegrad 1 bis Ende des Jahres noch nicht erfasst. Auch wenn die Menschen in Deutschland zunehmend gesünder in den Lebensabschnitt Alter eintreten, wird aufgrund der sogenannten Baby-Boomer-Generation die absolute Zahl der Menschen wachsen.4
10,4 Millionen Menschen mit Behinderung lebten 2019 in Privathaushalten, davon waren 7,6 Millionen Menschen amtlich als schwerbehindert eingestuft.5 Die Lebenssituation von Menschen mit und ohne Behinderung unterscheidet sich deutlich. Die Quote an ledigen und alleinlebenden Menschen im Alter zwischen 25 und 44 Jahren ist bei Menschen mit Behinderung höher, sie haben häufiger keinen Schul- und Ausbildungsabschluss und sind seltener berufstätig.

Dies sind drei Bevölkerungsgruppen mit erhöhten gesundheitlichen Bedarfen, Einschränkungen und Risiken – und sie machen einen großen Teil unserer Gesellschaft aus. Das heißt auch, dass potenziell alle von uns betroffen sein können.

 

Das Robert Koch-Institut stellt in seinem Journal of Health Monitoring 2022 Folgendes fest: „Die Daten in dieser Ausgabe zeigen also einen unvermindert dringlichen Handlungsbedarf für Prävention auf, um die wichtigen Risikofaktoren für maligne und kardiovaskuläre Erkrankungen einzudämmen. Egal ob es um das Einhalten von Normalgewicht, das Vermeiden langanhaltender Sitzzeiten oder das Nichtrauchen geht: Entscheidend ist es, die Rahmenbedingungen in Deutschland so zu gestalten, dass es allen Menschen ermöglicht und leicht gemacht wird, ihre Gesundheit zu schützen.“6

 

Aus unserer Sicht ist dies aktuell nicht der Fall, und es besteht eine deutliche Fehlversorgung in Deutschland, der u. a. mit einer Krankenhausstrukturreform begegnet werden kann und muss. Zudem ist ein Aus- und Umbau der Primärversorgung hin zu einer integrierten Versorgung notwendig, bei dem Sektoren- und Professionsgrenzen überwunden werden müssen.

 

2. Fachpersonenmangel im Gesundheitswesen

 

Fehlendes Fachpersonal wird in fast allen Gesundheitsberufen beklagt. Dies zeigt auch die Studie Fachkräftemangel im deutschen Gesundheitswesen 20227 der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers, der zufolge im Jahr 2035 mit rund 1,8 Millionen unbesetzten Stellen im Gesundheitswesen gerechnet werden muss. Die prognostizierten Engpässe liegen in der Akutpflege bei 288.800 Stellen, in der Langzeitpflege bei 103.700 Stellen, in der Human- und Zahnmedizin bei 99.900 Stellen und in Psychologie und Psychotherapie bei 7.900 Stellen.

 

Wir gehen schon heute von rund 200.000 fehlenden beruflich Pflegenden in allen Settings8 aus, die für eine qualitativ hochwertige und am tatsächlichen Bedarf orientierte pflegerische Versorgung notwendig sind. Die negativen Auswirkungen von Personalmangel und mangelnder Qualifikation in den Pflegeberufen sind hinreichend untersucht: Komplikationen, Rehospitalisierungen und höhere Mortalitätsraten werden durch zu wenig und nicht hinreichend qualifiziertes Personal verursacht.9

 

 

Der Personalmangel kann weder durch Ausbildungsinitiativen noch durch Anwerbungen aus dem Ausland allein behoben werden. Die politischen Versuche der letzten Jahre oder Jahrzehnte haben zu keiner Entspannung der Situation geführt, die Pandemie hat sie noch weiter verschärft. Ohne strukturelle Veränderungen wird die Versorgungsqualität weiter sinken, und langfristig werden Angebote entfallen. Die professionelle Pflege spielt eine tragende Rolle für die Gesundheitsförderung, die Genesung und für die Versorgung bei Pflegebedarf. Ein Fachpersonenmangel in diesem Bereich führt daher zu einem Dominoeffekt in anderen Wirtschaftsbereichen. Wenn Fachkräfte nach Erkrankungen oder Unfällen nicht mehr arbeitsfähig werden oder Menschen mit Pflegebedarf von Angehörigen versorgt werden müssen, stehen diese Menschen dem Arbeitsmarkt nicht mehr zur Verfügung.

 

Echte Lösungen für die sich verändernden Gesundheitsbedarfe und die sich zuspitzende Pflegekrise müssen also anders aussehen als die bisherigen Versuche, mehr (wenig qualifiziertes) Personal ins bestehende System zu bekommen.

 

Länder, die im Vergleich bessere Ergebnisse in der Gesundheitsversorgung erzielen und dabei weniger Geld pro Kopf ausgeben, sind beispielsweise Schweden und Finnland.10 In beiden Ländern ist die Primärversorgung breiter aufgestellt als in Deutschland: Interprofessionelle Gesundheitszentren sind die erste Anlaufstelle für Patient:innen, Aufgaben sind unter den Gesundheitsprofessionen anders verteilt, und auf Masterniveau ausgebildete Pflegefachpersonen übernehmen eine zentrale Rolle in der Koordination der Gesundheitsversorgung sowie in der Versorgung bestimmter Personengruppen wie Menschen mit chronischen Erkrankungen. Sie haben erweiterte Befugnisse, triagieren und dürfen in einem ihrer Qualifikation entsprechenden Rahmen auch Behandlungen und Verordnungen durchführen.11 In Kanada sind die Aufgaben in der Gesundheitsversorgung ebenfalls anders verteilt: Community Health Nurses sind meist erste Ansprechpartner:innen in der Primärversorgung, sie übernehmen die Beratung, Begleitung und das Monitoring bei Menschen mit chronischen Erkrankungen. Ärzt:innen kommen nur dann zum Einsatz, wenn sie benötigt werden. Die Kompetenzen der unterschiedlichen Berufsgruppen können daher effizienter und zum Wohle der Bevölkerung eingesetzt werden.12

 

3. Integrierte Versorgung

 

Die Anforderungen an die Gesundheitsversorgung steigen, da die Bevölkerung älter wird, chronische Erkrankungen und Multimorbidität zunehmen. Dies erfordert eine Neuorganisation der Gesundheitsangebote.13 Mit multiprofessionellen Teams, die Patient:innen und ihre Gesundheit ins Zentrum stellen, müssen integrierte Gesundheitsangebote geschaffen werden. Eine Versorgungskontinuität zwischen ambulanten und stationären Leistungen, Angebote zur Gesundheitsförderung, Prävention und zum Selbstmanagement bei chronischen Erkrankungen können nur so umgesetzt werden.14

 

 

OECD-Daten zeigen, dass die vergleichsweise mittelmäßigen bis schlechten Ergebnisse, die Deutschlands Gesundheitssystem trotz der hohen Kosten erzielt, auf fehlende Koordination der Angebote über die Sektoren hinweg zurückgeführt werden können. Wesentlich bessere Ergebnisse – mit hohem Potenzial für Kosteneinsparungen – werden hingegen integrierten, regionalen Versorgungsmodellen bescheinigt.15 Das Forschungsprojekt FAMOUS16 der Universität Mainz, das vom Innovationsfonds gefördert wird, untersucht aktuell, wie sich der Einsatz von Advanced Practice Nurses in hausärztlichen Praxen auf die Versorgung multimorbider Patient:innen auswirkt.

 

Wie sehr innovative, vernetzte Versorgungskonzepte Gesundheit und Wohlbefinden in der Bevölkerung verbessern können, zeigt sich auch in den Studienergebnissen zu Netzwerken in der Hospizversorgung17 oder zu Pflegeheim-sensitiven Krankenhausfällen.18 Funktionierende Kooperationen und der Einsatz von (akademisch) qualifizierten Pflegefachpersonen verhindern Krankenhausverlegungen von Heimbewohner:innen – auch und besonders am Lebensende.

 

Für eine Krankenhausstrukturreform bedeutet dies, dass den Level-Ii-Krankenhäusern oder Primärversorgungszentren mit ambulant-stationären Versorgungsangeboten eine Schlüsselrolle im Gesundheitssystem zukommt. Sie können Knotenpunkte im regionalen Gesundheitsnetz sein, die Übergänge von stationärer zu ambulanter Versorgung und die wohnortnahe Basisversorgung der großen chronischen Volkskrankheiten sicherstellen, wenn dort interprofessionelle Teams auf Augenhöhe miteinander arbeiten. Eine Leitung dieser integrierten Einrichtungen durch qualifizierte Pflegefachpersonen muss dabei unbedingt möglich sein, da ein großer Teil der Patient:innen in diesen integrierten Einrichtungen vor allem aufgrund pflegerischer Phänomene versorgt werden.

 

4. Leistungskriterium Pflegequalität

 

Bei einer Neuordnung der Krankenhauslandschaft mit einer Zunahme ambulanter Eingriffe und einem Ausbau der Primärversorgung, um Krankenhauseinweisungen zu reduzieren, wird es zu einer Verdichtung komplexer Fälle in den Krankenhäusern der höheren Versorgungsstufen (Level II-III) kommen. Komplexe medizinische Interventionen bedeuten, dass auch der Bedarf an professioneller Pflege steigt. Care- und Case-Management werden durch die Reform ebenfalls einen höheren Stellenwert bekommen, da mehr Patient:innen in entfernt gelegenen Kliniken der Maximalversorgung behandelt und zu Hause weitere Versorgung benötigen werden.

 

Pflegequalität hängt direkt mit der Personalausstattung und der Qualifikation des Pflegepersonals zusammen: Bessere Ergebnisse, weniger Komplikationen und geringere Mortalitätsraten bei besserer pflegerischer Personalausstattung und einer höheren Quote akademisch ausgebildeter Pflegefachpersonen sind in vielen Studien belegt worden.19

 

 

Strukturqualität kann deshalb nicht nur medizinisch-technisch definiert werden, sondern muss auch die pflegerische Komponente enthalten. Pflegewissenschaftlich fundierte Personalschlüssel und ein adäquater Qualifikationsmix in den Teams sind wesentliche Kriterien für die Versorgungsqualität und müssen sich daher in den Leistungsgruppen widerspiegeln. Außerdem gehört Pflegeforschung zwingend zur Sicherung der Versorgungsqualität. Dafür müssen akademisch ausgebildete Pflegefachpersonen mit den notwendigen Forschungsmitteln ausgestattet und die Pflegewissenschaft gestärkt werden.

 

Es wäre ein seit Jahrzehnten wiederholter Fehler, wenn Pflege weiterhin lediglich als Kostenfaktor für die Krankenhäuser betrachtet wird. Professionelle Pflege ist eine zentrale Leistung, damit moderne Medizin wirksam werden kann. Dafür muss das Pflegebudget erhalten bleiben und zu einer vollständigen Refinanzierung der pflegerischen Leistungen weiterentwickelt werden. Das Pflegebudget sichert, in Kombination mit Vorgaben zur quantitativen und qualitativen Personalbesetzung, eine hochwertige pflegerische Versorgung.

 

5. Aufgaben umverteilen, Kompetenzen und Verantwortung erweitern

 

Der demografische Wandel, die Entwicklungen im medizinischen Sektor und auch die Krankenhausstrukturreform führen dazu, dass sich Aufgaben im Gesundheitswesen verändern und dass neue hinzukommen. Werden mehr Menschen ambulant behandelt, so entstehen vor Ort Aufgaben in der Primärversorgung wie beispielsweise die Nachsorge nach Operationen, das Monitoring der Erkrankung, die Schulung und Beratung der Patient:innen, die Medikation oder die Koordination von weiteren Gesundheitsleistungen. Gleichzeitig stehen zunehmend weniger Hausärzt:innen zur Verfügung; die verbleibenden werden mehr Menschen und vor allem die komplizierten Fälle versorgen müssen. Eine Umverteilung von Aufgaben ist daher dringend notwendig, um den Bedarfen gerecht zu werden.

 

Im Zuge einer Krankenhausstrukturreform gilt es daher, die neuen Aufgaben und die zugehörigen Tätigkeiten zu identifizieren. Einige der neuen Aufgaben werden sinnvollerweise von beruflich und vor allem akademisch qualifizierten Pflegefachpersonen wie Advanced Practice Nurses oder Community Health Nurses übernommen. Relevant wird dies vor allem in den Level-Ii-Krankenhäusern bzw. Primärversorgungszentren vor Ort. Damit Pflegefachpersonen die neuen Aufgabenfelder eigenverantwortlich übernehmen können und keine unnötigen Doppelstrukturen entstehen, muss ihnen für diese Bereiche die Heilkundeausübung übertragen werden. Im Pflegeberufegesetz (PflBG) sind die für Pflegefachpersonen vorbehaltenen Tätigkeiten geregelt:

  1. die Erhebung und Feststellung des individuellen Pflegebedarfs,

  2. die Organisation, Gestaltung und Steuerung des Pflegeprozesses sowie

  3. die Analyse, Evaluation, Sicherung und Entwicklung der Qualität der Pflege.20

Allerdings sind Pflegefachpersonen weiterhin in ihren Handlungsmöglichkeiten beschnitten und dies sogar in ihren Vorbehaltsaufgaben. Pflegefachpersonen sind die Berufsgruppe, denen die Erhebung und Feststellung des Pflegebedarfs vorbehalten ist, aber sie dürfen die notwendigen pflegerischen Maßnahmen nicht eigenverantwortlich verordnen. Dies bezieht sich unter anderem auf die Verordnung häuslicher Krankenpflege, Leistungen nach SGB XI, Pflegehilfsmitteln, Materialien und Maßnahmen zur Wundversorgung sowie Maßnahmen zur Prophylaxe von Dekubiti oder Thrombosen. Ärzt:innen verordnen also, was der Pflege aufgrund ihrer Kompetenzen vorbehalten ist. Damit ist nicht nur eine unnötige Doppelstruktur geschaffen, sondern pflegerische Kompetenz wird abgewertet und dies geht zulasten der Versorgungsqualität.

 

Insbesondere die Ärzteschaft wehrt sich vehement gegen die Übertragung von heilkundlichen Tätigkeiten auf Pflegefachpersonen. Das Argument ist vordergründig die Sicherheit der Patient:innen. Studien21 belegen allerdings, dass die Ergebnisse in der Versorgung mindestens gleichbleibend, teilweise sogar besser sind, wenn heilkundliche Tätigkeiten von Pflegefachpersonen mit entsprechender Qualifikation ausgeübt werden.

 

Für eine bessere Gesundheitsversorgung müssen zunächst die rechtlichen Weichen dafür gestellt werden, dass Pflegefachpersonen die ihnen vorbehaltenen Tätigkeiten eigenverantwortlich durchführen und verordnen können. In einem weiteren Schritt müssen die heilkundlichen Tätigkeiten übertragen werden, die im Zuge der Strukturreform ins Aufgabengebiet von Pflegefachpersonen übergehen. Wie gesetzliche Regelungen dafür aussehen können, zeigt nicht zuletzt das Rechtsgutachten zur Etablierung von Community Health Nurses.22

 

6. Drei zentrale Forderungen

 

Für eine gelingende Krankenhausstrukturreform, in der das pflegefachliche Potenzial entfaltet werden kann, müssen daher wesentlich drei Forderungen erfüllt sein:

  1. a)  Primärversorgungszentren bzw. Level-Ii-Krankenhäuser schließen eine Versorgungslücke und sind

  2.      deshalb notwendig. Ihr Versorgungsschwerpunkt liegt wesentlich auf komplexen Pflegebedarfen.

  3.      Eine Leitung durch qualifizierte Pflegefachpersonen muss möglich sein.

  4. b)  Die Qualitätskriterien in den Leistungsgruppen müssen die pflegerische Leistung spiegeln und einen

  5.      bedarfsgerechten Personalschlüssel sowie den notwendigen Qualifikationsmix für die Pflegeberufe

  6.      beinhalten.

  7. c)  Die Heilkundeübertragung auf Pflegefachpersonen muss im Sinne einer Substitution geregelt werden,

  8.      damit sie eigenverantwortlich ihre Kompetenzen einsetzen und die Basisversorgung sichern können.

 

Berlin, 27. Juni 2023

 

1 https://www.bib.bund.de/DE/Presse/Mitteilungen/2023/2023-05-10-Lebenserwartung-Deutschland-in-Westeuropa-unter-den- Schlusslichtern.html; letzter Abruf 08.06.2023
2 Stiftung Gesundheitswissen: Faktenblatt "Menschen mit chronischen Erkrankungen", Berlin 2022, https://www.stiftung- gesundheitswissen.de/sites/default/files/pdf/Faktenblatt_Menschen%20mit%20chronischen%20Erkrankungen_0.pdf; letzter Abruf 08.06.2023

3 Robert Koch Institut: Journal of Health Monitoring 3/2021, Berlin 2021,

https://www.rki.de/DE/Content/Gesundheitsmonitoring/Gesundheitsberichterstattung/GBEDownloadsJ/Focus/JoHM_03_2021_GE DA_Gesundheitliche_Lage.pdf?__blob=publicationFile, S. 7, letzter Abruf: 08.06.2023
4 Statistisches Bundesamt, Dezember 2021: https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2022/12/PD22_554_224.html; letzter Abruf 08.06.2023

 

5 Statistisches Bundesamt: Lebenslagen der behinderten Menschen 2019: https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft- Umwelt/Gesundheit/Behinderte-Menschen/Publikationen/Downloads-Behinderte-Menschen/lebenslagen-behinderter-menschen- 5122123199004.pdf?__blob=publicationFile, Seite 15, letzter Abruf 08.06.2023

6 Loss, Julika: Gesundheitsverhalten in Deutschland – kein Grund zur Entwarnung!, in: Journal of Health Monitoring 2022 7(3), Robert Koch-Institut, Abteilung für Epidemiologie und Gesundheitsmonitoring, Berlin 2022, https://www.rki.de/DE/Content/Gesundheitsmonitoring/Gesundheitsberichterstattung/GBEDownloadsJ/Editorial/JHealthMonit_202 2_03_Editorial.pdf?__blob=publicationFile; S. 4, letzter Aufruf: 08.06.2023

7 https://www.pwc.de/de/gesundheitswesen-und-pharma/fachkraeftemangel-im-deutschen-gesundheitswesen-2022.html
8 Für die Akutpflege siehe: Simon, Michael: Pflegepersonal in Krankenhäusern: Eine Analyse neuerer Entwicklungen auf Grundlage der Daten der Krankenhausstatistik und der Arbeitsmarktstatistik, Hannover 2021, S. 30, https://f5.hs- hannover.de/fileadmin/HsH/Fakultaet_V/Bilder_Datein/UEber_uns/Personen/Simon__2021__Pflegepersonal_in_Krankenha__use rn_-_neuere_Entwicklungen.pdf, letzter Abruf 14.06.2023; für die Langzeitpflege siehe: Rothgang, Heinz: Abschlussbericht im Projekt „Entwicklung und Erprobung eines wissenschaftlich fundierten Verfahrens zur einheitlichen Bemessung des Personalbedarfs in Pflegeeinrichtungen nach qualitativen und quantitativen Maßstäben gemäß § 113c SGB XI (PeBeM)“, S. 37: https://www.gs-qsa-pflege.de/wp-content/uploads/2020/09/Abschlussbericht_PeBeM.pdf und https://www.tagesschau.de/inland/interview-rothgang-101.html, letzte Abrufe 13.06.2023

 

9 Siehe beispielsweise: Aiken, Linda H; Sloane, Douglas; Griffiths, Peter; Rafferty, Anne Marie; Bruyneel, Luk; McHugh, Matthew; Maier, Claudia B; Moreno-Casbas, Teresa; Ball, Jane E; Ausserhofer, Dietmar; Sermeus, Walter (2016). Nursing skill mix in European hospitals: cross-sectional study of the association with mortality, patient ratings, and quality of care. In: BMJ Qual Saf 2017; 26:559– 568. Oder: Deutsches Institut für angewandte Pflegeforschung e. V.: Die erweiterte pflegerische Versorgungspraxis, 2022: https://www.bosch-stiftung.de/sites/default/files/publications/pdf/2022- 06/Abschlussbericht_360Grad%20Pflege_Qualifikationsmix.pdf

10 https://www.oecd-ilibrary.org/sites/ec2b395b-en/index.html?itemId=/content/component/ec2b395b-en
11 https://www.bosch-stiftung.de/sites/default/files/publications/pdf/2018-08/PORT-Laender-Info_Schweden.pdf, https://www.bibliomed-pflege.de/sp/artikel/30304-von-den-finnen-lernen, letzter Abruf: 12.06.2023, außerdem: Schaeffer, Doris; Hämel, Kerstin; Ewers, Michael: Versorgungsmodelle für ländliche und strukturschwache Regionen, Beltz Verlag, Weinheim Basel 2015
12 https://www.bosch-stiftung.de/sites/default/files/publications/pdf/2021- 09/Mehr_Gesundheit_f%C3%BCr_eine_Gesellschaft_des_langen_Lebens.pdf, letzter Abruf: 12.06.2023
13 Europäisches Observatorium für Gesundheitssysteme und -politik: Policy Brief 46, Wie können Skill-Mix-Innovationen die Umsetzung einer integrierten Versorgung für Menschen mit chronischen Erkrankungen und Multimorbidität unterstützen?, Kopenhagen 2022, https://eurohealthobservatory.who.int/publications/i/how-can-skill-mix-innovations-support-the-implementation- of-integrated-care-for-people-with-chronic-conditions-and-multimorbidity, letzter Abruf 13.06.2023.
14 https://leitbegriffe.bzga.de/alphabetisches-verzeichnis/gesundheitsfoerderung-und-integrierte- versorgung/#:~:text=Zusammenfassung,beschr%C3%A4nkter%20Patientenbehandlung%20patientenorientiert%20zu%20%C3% BCberwinden, letzter Abruf: 13.06.2023.

21 Ayerle, Gertrud. Langer, Gero, Meyer, Gabriele (2020). Selbstständige Ausübung von Heilkunde durch Pflegekräfte. In: Jacobs, K., Kuhlmey, A., Greß, S., Klauber, J., Schwinger, A. (eds) Pflege-Report 2019. Springer, Berlin, Heidelberg.

https://doi.org/10.1007/978-3-662-58935-9_14, letzter Abruf 19.06.2023

22 Burgi, Martin; Igl, Gerhard: Rechtliche Voraussetzungen und Möglichkeiten der Etablierung von Community Health Nursing (CHN) in Deutschland (2021), Schriften zum Sozialrecht 61, Nomos Verlagsgesellschaft: https://www.nomos- elibrary.de/10.5771/9783748924319.pdf?download_full_pdf=1, letzter Abruf 20.06.2023

 

Kontakt

 

Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe – DBfK Bundesverband e. V.
Alt-Moabit 91
10559 Berlin

030 - 219 157 0

dbfk@dbfk.de

 

Verband der Schwesternschaften vom Deutschen Roten Kreuz e. V. 

Carstennstraße 58
12205 Berlin

030 - 854 04 917

drk-schwesternschaften@drk.de

 

Deutscher Pflegerat e. V. – DPR

Alt-Moabit 91
10559 Berlin
030 - 398 77 303

info@deutscher-pflegerat.de

 

Bundesverband Pflegemanagement e. V.

Alt-Moabit 91
10559 Berlin
030 - 44 03 76 93

info@bv-pflegemanagement.de

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